Der 17. Juni 1953

Erinnern an einen Volksaufstand

Mit Standrechten, mit Bajonetten, mit Panzern, kann auf die Dauer ein Volk doch nicht niedergehalten werden.
Ernst Reuter, Reg. Bürgermeister von Berlin (West), 18. Juni 1953

Deutschland vor 50 Jahren, das war in der Bundesrepublik das beginnende Wirtschaftswunder mit Italien-Urlaub und VW-Käfer und jenseits des Eisernen Vorhangs die DDR, deren Staatsführung folgsam den Weisungen der Sowjetunion folgte. Die Ereignisse im Juni 1953 - zusammengefasst im 17. Juni 1953, Arbeiteraufstand in der DDR und in Ost-Berlin - begannen weitaus früher mit spontanen Arbeitsniederlegungen und Forderungen nach einer besseren Lebensqualität. Im Juli 1952 beschloss die SED auf ihrer II. Parteikonferenz den planmäßigen Aufbau des Sozialismus in ihrem Machtbereich und die Aufstellung von Nationalen Streitkräften der DDR. Der überhastete Aufbau der Schwerindustrie und die Militarisierung, Ende 1952 hatte die Kasernierte Volkspolizei bereits einen Mannschaftsbestand von rund 90 000 Mann, kostete Geld, sehr viel Geld und ging zu Lasten der Konsum-Industrie.

Die Sowjetunion verfolgte besorgt die Entwicklung der Lage in ihrem Besatzungsgebiet, der DDR, und forderte die SED-Führung im April 1953 auf, den „rücksichtslosen Kurs zur Verwirklichung der Grundlagen des Sozialismus zu mildern“. Das SED-Politbüro war aber zu diesem Zeitpunkt auf beiden Augen blind für die Nöte der Bevölkerung und beschloß im April umfangreiche Preiserhöhungen für Fleischwaren, zuckerhaltige Lebensmittel und Eier, zudem wurde einem Großteil der Bevölkerung die Lebensmittelkarte entzogen. Nicht genug damit, wurde am 28. Mai 1953 ein Beschluß des Ministerrates der DDR über die Erhöhung der Arbeitsnormen veröffentlicht. „Das Ziel dieser Maßnahme ist, die Arbeitsnormen mit den Erfordernissen der Steigerung der Arbeitsproduktivität und der Senkung der Selbstkosten in Übereinstimmung zu bringen und zunächst eine Erhöhung der für die Produktion entscheidenden Arbeitsnormen im Durchschnitt von mindestens 10 % bis zum 30. Juni 1953 sicherzustellen.“ Dabei wurde rasch deutlich, dass sich die zehnprozentige Normenerhöhung bei Nichterfüllung auch als großes Minus in der Lohntüte auswirken kann.

Das Präsidium des Ministerrates der UdSSR, der "Große Bruder", berät am 27. Mai über die Zukunft der DDR. Walter Ulbricht, Otto Grotewohl und Fred Oelßner (fungierte als Dolmetscher) werden nach Moskau bestellt, wo ihnen der Maßnahmenkatalog übergeben wird, der den zukünftigen "Neuen Kurs" der SED bestimmt. Während der Besprechungen macht Otto Grotewohl sich u.a. diese Notizen: "Nicht Prestige fürchten; wenn wir jetzt nicht korrigieren kommt eine Katastrophe. Offene Korrektur?"

Zurückgekehrt geben die Genossen am 5. Juni im Politbüro ihren "Bericht von der Reise", am 6. Juni folgt die "Aussprache zum Bericht über die Reise". Die Öffentlichkeit erfährt davon zunächst nichts. Erst am 11. Juni veröffentlicht die "Tägliche Rundschau" ein Kommuniqué des Politbüros der SED, dessen Inhalt nun offiziell als "Neuer Kurs" gilt. » Das Politbüro des ZK der SED ging davon aus, daß seitens der SED und der Regierung der DDR in der Vergangenheit eine Reihe von Fehlern begangen wurde,. . . Die Interessen solcher Bevölkerungsteile wie der Einzelbauern, der Einzelhändler, der Handwerker, der Intelligenz wurden vernachlässigt. Bei der Durchführung der erwähnten Verordnungen und Anordnungen sind außerdem ernste Fehler in den Bezirken, Kreisen und Orten begangen worden.“ Der Ministerrat der DDR hebt daraufhin die Beschränkungen für die Ausgabe von Lebensmittelkarten auf, außerdem werden die Preiserhöhungen vom 19.4.1953 zurückgenommen. Das Thema Normen kommt in den Beschlüssen nicht vor und erregt weiter den Unmut der Betroffenen.

Am 14. Juni (Sonntag) erscheint ein Artikel im "Neuen Deutschland" mit dem Titel "Es ist Zeit, den Holzhammer beiseite zu legen". In dem Artikel wird im scharfen Ton die Normentreiberei auf den Baustellen in der Stalinallee kritisiert, die Betriebsparteileitungen sollen vor allem ?den Menschen in der Produktion sehen? Genau das Gegenteil ist der Inhalt eines Artikels des des stellvertretenden FDGB-Vorsitzenden Otto Lehmann in der "Tribüne" vom 16. Juni 1953, der auf den Seiten 1 und 2 unter dem Titel "Zu einigen schädlichen Erscheinungen bei der Erhöhung der Arbeitsnormen" bei den alten scharfmacherischen Tönen bleibt. "Die feindliche Theorie? von der Lohnsenkung durch die Normenerhöhung muß zerschlagen werden. Je schneller und je gründlicher dies geschieht, um so aktiver und bewusster werden alle Arbeiter die Normenerhöhung um durchschnittlich 10 Prozent zu ihrer eigenen Sache machen. ... gilt es, den Beschluß des Ministerrats über die Erhöhung der Arbeitsnormen um durchschnittlich 10 Prozent bis zum 30. Juni 1953 mit aller Kraft durchzuführen."

"Kollegen reiht Euch ein, wir wollen freie Menschen sein!" In der aufgeheizten Stimmung gerät die Situation für die SED außer Kontrolle. Überall in Ost-Berlin sind bis spät in den Abend des 16. Juni kleinere und größere Demonstrationszüge auf der Straße, die die Rücknahme der Normenerhöhung, freie und geheime Wahlen sowie den Rücktritt der Regierung fordern. Der Satz „Für morgen rufen wir den Generalstreik aus“, macht die Runde. Alles geschieht spontan, es gab keine zentrale Streikleitung, niemand, der koordinierend die beginnende Erhebung lenkt. Noch ahnt und begreift keiner, weder in Ost- noch in West-Berlin, weder im Moskauer Kreml noch im Weißen Haus in Washington, noch im rheinischen Bonn, was an diesem 16. Juni flächendeckend in der DDR beginnt, ein Volksaufstand gegen die Diktatur der SED.

17. / 18. Juni 1953 - Mit Knüppeln und Steinen gegen Panzer

In den Morgenstunden des 17. Juni schrillen in den Kasernen der Roten Armee rund um Berlin die Alarmglocken, Panzerverbände werden in Richtung Ost-Berlin in Marsch gesetzt. Ihr Ziel ist zunächst Berlin-Karlshorst, das Hauptquartier der sowjetischen Besatzungsmacht.
Niemand in Karlshorst denkt zu diesem Zeitpunkt daran, daß es in wenigen Stunden überall in der DDR zu einem Aufstand kommen wird, als Krisengebiet gilt einzig Ostberlin.
Das SED-Politbüro wird ebenfalls nach Karlshorst beordert. Rudolf Herrnstadt berichtet darüber: „Dort standen wir zunächst, da die sowjetischen Genossen vollauf beschäftigt waren, überflüssig herum. ...“ (Herrnstadt, Das Herrnstadt-Dokument)
Und das regierte Volk? Arbeiter und Angestellte zahlreicher Betriebe befolgen die am Vorabend ausgegebene Generalstreikparole und erscheinen nicht an ihren Arbeitsplätzen. Schon in den frühen Morgenstunden formieren sich Demonstrationszüge, die zum Stadtzentrum marschieren, auch aus den beiden großen Hennigsdorfer Betrieben, den LEW und dem Stahlwerk.
          
Ein Augenzeuge berichtet:
"An diesem Tage war ich vormittags in der Berliner Straße in Tegel und erlebte, wie die Arbeiter und Arbeiterinnen aus dem Stahlwerk und aus dem LEW aus Hennigsdorf in ihrer Arbeitskleidung in Richtung Innenstadt zu Tausenden marschierten, um gegen ihr Regime im Ostteil der Stadt zu demonstrieren. Es herrschte allenthalben eine gehobene und freudige Stimmung. Als ich nach Hause kam, hörten wir schon im Radio die Nachrichten von den Vorgängen, die sich nicht nur in Berlin, sondern bereits in der ganzen DDR abspielten.In Hohen Neuendorf sollen Einzelne zu dem Schlagbaum an der Waldschenke an der Reichsstraße 96 gezogen sein und hätten den Schlagbaum beseitigt. Die dort postierten sowjetischen Soldaten wären nicht eingeschritten.

Ohne größere Behinderungen erreichen in den Vormittagsstunden des 17. Juni 1953 immer mehr Demonstranten die Leipziger Straße, zwingen die Volkspolizei sich immer weiter zurückzuziehen. Gegen 10.30 Uhr treffen die ersten sowjetischen Verbände am Haus der Ministerien ein. Die russischen Panzer fahren rücksichtslos in die Demonstranten hinein, hinter den Panzern geht nun auch die Volkspolizei brutal mit Waffengewalt gegen die aufgebrachten Menschen vor und verjagt sie aus der Leipziger Straße. Auch ganz in der Nähe, am Checkpoint Charlie, wo die Panzer mit Steinwürfen empfangen werden, schießen die Soldaten in die Menge. Auf dem Potsdamer Platz kommt es zu heftigen Straßenschlachten zwischen den Aufständischen und den sowjetischen Besatzungstruppen, die die Menge mit Panzern und Maschinenwaffen in die Flucht treiben.

Der Volksaufstand im Bezirk Potsdam konzentrierte sich nicht nur auf Hennigsdorf und Brandenburg. In kleineren Gemeinden, wie zum Beispiel Hohen Neuendorf, gehen ebenfalls viele auf die Straße.
Die Bezirksdirektion der Volkspolizei Potsdam fasste in einem Schreiben die Meldung des Volkspolizeikreisamtes Oranienburg am 18. Juni 1953 über die Anzahl der Aufständischen so zusammen:
VPKA Oranienburg: Stahlwerk Hennigsdorf, 3000; LEW Hennigsdorf, 5000; Bau-Union Hohen-Neuendorf, 1000; Bau-Union Beetzow, 2000; Bau-Union Leipzig, 700; Eisengießerei Birkenwerder, 60; BEB Holz, Liebenwalde, 50; Feinmechanik Nieder-Neuendorf, 200. (Koop, Der 17. Juni 1953, 2003)
Auch im Stadtarchiv Hohen Neuendorf hat sich ein Blatt erhalten. Eine Genossin berichtet eine Woche nach dem 17. Juni der örtlichen SED-Parteiorganisation. Darin ist u.a. zu lesen (Rechtschreibung wurde beibehalten):
„Durch die Frau des Genossen Schweitzer erfuhr ich, was sich in Berlin abspielte. Auf der Fahrt nach der Niederheide, geriet ich in den Demonstrationszug der Bauarbeiter. Selbiger war sehr stark welcher sich in Richtung Bahnhof bewegte. Erschrocken machte ich kehrt und meldete das unserem Bürgermeister dem Genossen Gemba. Mit Genossen Gemba einigte ich mich, wichtiges Parteimaterial in Sicherheit zu bringen und zwar im Panzerschrank des Rathauses. Danach begab ich mich nach dem Parteisekretariat, klärte meinen Mann über die Situation auf worauf wir alle wichtigen Sachen in zwei Koffer verpackten. Ich setzte mich mit dem VEB Betrieb Elmed mit dem Genossen Derr in Verbindung und bat um ein Auto, welches auch gleich eintraf. . . . Einige Banditen kamen bis in unsere Nähe, begaben sich in die HO Gaststätte und rissen die Losungen und das Bild unseres Genossen Wilhelm Pick mit den Worten ab, was willst du noch hier, die Regierung ist weg.“

Im Laufe des 18. Juni bricht der Widerstand überall zusammen. Standrechtliche Erschießungen, brutales Vorgehen der KVP und eine rasch einsetzende Verhaftungswelle verhelfen den SED-Mächtigen wieder in den Sattel. Eine genaue Anzahl der Todesopfer und der Verletzten, der zu hohen Zuchthausstrafen Verurteilten gibt es nicht. Im Juni 1953 rollten sowjetische Panzer aus den Kasernen und schossen den Aufstand zusammen; im August 1961 rollten sie zur Machtdemonstration ebenfalls, schossen aber nicht; im November 1989 blieben sie in den Kasernen. Endlich am 31. August 1994 verließen sie Deutschland für immer. Die Ereignisse im Juni 1953 waren ein Kettenglied in den Versuchen der SED-Führung ihren von der Sowjetunion installierten Staat zu stabilisieren, ihrem von ihnen beherrschten Volk ihr undemokratisches Weltbild aufzuzwingen. Sie schafften es für einige Jahrzehnte nach dem Mauerbau am 13. August 1961 und verloren die Macht endgültig im November 1989, als das Staatsvolk der DDR die Schandmauer zum Einsturz brachte und am 3. Oktober 1990 die Einheit Deutschlands geschaffen wurde.

Die Nacht im Zwiebelkeller

17 Juni 1953 - zu dieser Zeit und letztlich bis zur Mauer arbeitete ich in Westberlin, wohnte in Hohen Neuendorf, war also ein sogenannter. Grenzgänger.
Am Bahnhof Waidmannslust im Berliner Bezirk Reinickendorf befand sich mein Arbeitsplatz. Als gelernter Maschinenschlosser arbeitete ich in den Volta-Werken, später studierte ich an der Beuth-Schule die Technik der Produktionsplanung. An jenem 17. Juni 1953 bediente ich aushilfsweise den Brückenkran in der Werkhalle unmittelbar am Bahnhof Waidmannslust. Die Krananlage in ca.12 m Höhe gestattete mir den Blick auf den Bahnhof. Am frühen Nachmittag dieses 17. Juni beobachtete ich Fußgänger auf den Gleisen. Langsam verstärkte sich die Zahl der Leute, die auf dem Bahnkörper in Richtung Hermsdorf liefen. Der Bahnkörper befand sich in Rufweite. Ich rief hinüber, was denn los sei. „In Berlin, am Alex, bestimmen russische Panzer das Straßenbild, es wird geschossen, die Bahn fährt nicht mehr.“ So führte mich mein Heimweg, mit vielen anderen, die B 96 entlang nach Hohen Neuendorf. Die Stadtgrenze Frohnau nach Hohen Neuendorf hinein durften wir zwar ungeschoren passieren, aber wir mussten an schwer bewaffneten Angehörigen der Kasernierten Volkspolizei (KVP) vorbei. Die Waffen sind ja frisch aus dem Ölpapier gewickelt, stellten wir fest. Der Ausnahmezustand wurde auf Anschlägen verkündet. Damit waren bestimmte Einschränkungen verbunden. Nachts von 21.00 Uhr bis morgens 5.00 Uhr herrschte Ausgangssperre, nur Leuten mit Sonderausweisen war das Betreten der Straße gestattet. Das Leben ging zwar in Hohen Neuendorf weiter, aber die Soldaten der Sowjetarmee waren präsent. Auf dem Thälmannplatz am Bahnhof stand ein Panzer, und Sowjetsoldaten rannten herum. Unter anderem hatten sie bald die Bäckerei Giesch (heute Hoffmann, Schönfließer Straße) ausfindig gemacht und sich mit Schrippen eingedeckt, die sie unter ihre Uniformblusen stopften, um sie, bald als besondere Delikatesse, wie mir schien, zu verspeisen.

Am 17. Juni, möglicherweise auch am Folgetag, radelte ich mit einer Begleiterin durch die Gegend. Auf der Höhe Stolpe Ortsausgang in Richtung Hohen Neuendorf waren sowjetische Haubitzen aufgefahren. Mir sind etliche Geschütze in Erinnerung, die auf der nördlichen Straßenseite ihre Rohre gen Süden gerichtet hatten. Uns junge Leute beobachteten die Soldaten keinesfalls unfreundlich, sie lachten als das junge Mädchen neben mir mit dem Fahrrad, wohl vor Aufregung ob der kriegerischen Szene, strauchelte. Die Soldaten behelligten uns nicht.

Anders stellte sich die Situation nach 21.00 Uhr dar. Hervor taten sich die Angehörigen der Kasernierten Volkspolizei (KVP). Die sowjetischen Soldaten waren zwar präsent, verhielten sich jedoch zurückhaltend. Ich hatte die Sperrzeit der Ausgangssperre nicht so genau genommen und wurde prompt kurz nach 21.00 Uhr am Bahnhof Hohen Neuendorf von den Angehörigen der Kasernierten Volkspolizei (KVP) geschnappt, die Sowjetposten hielten sich im Hintergrund. Ich wurde ziemlich unsanft vom Fahrrad geholt, musste sofort die Fahrradkette vom Zahnkranz lösen und wurde in den Bahnhof geschubst. Kurz darauf wurden noch zwei junge Männer dazu geführt. An den einen Namen erinnere ich mich, es war Rudi J. Uns drei Mann führten die Angehörigen der Kasernierten Volkspolizei (KVP) zu ihrem Objekt in der Waldstraße ab. Runter ging‘s ins Verlies, in einen muffigen vergitterten Keller in dem es furchtbar nach Zwiebeln stank, war wohl in normalen Zeiten der Vorratskeller. Wir konnten aus dem Kellerfenster hinaus blicken. Mein Fahrrad hatten die Männer der KVP wieder betriebsfähig gemacht und kurvten damit auf dem Gelände herum.

Wir wussten, dass Rudi J. lungenkrank war und ihm die Kellerluft nicht gut tat. So klemmte ich mich an das Fenstergitter, um mit den Bewachern Kontakt aufzunehmen. Meine Hände nahm ich aber schnell von den Gitterstäben zurück, weil der Posten unmissverständlich bedrohlich den Kolben seiner MP in Richtung meiner Hände schwang: Hände weg. Schließlich erreichte ich, dass ein Feldscher in unser Verlies kam, mit Rudi sprach und er sich draußen hinsetzen durfte. Die Nacht war lang. Man sollte nicht meinen, dass es tatsächlich eine Gefängnispsychose gibt. Langsam wurden wir ziemlich kleinlaut und warteten auf das erste Morgenlicht, auf das angekündigte sogenannte Verhör. Gegen Morgen blieb es nicht aus, wir mussten zur Toilette. Wir meldeten uns und durften jeder einzeln zum Klo. Der Posten führte uns mit vorgehaltener MP zum Örtchen. Die Tür blieb offen, ein schussbereiter Kasernierter Volkspolizist (KVP) ließ mich nicht aus den Augen. Noch nie und nie wieder habe ich derart mein Geschäft verrichtet.

Dann endlich ging‘s zum Verhör. Am Schreibtisch, nun sagen wir mal, lümmelte, ein sportlicher Typ im Trainingsanzug, er erklärte beiläufig, dass er der wachhabende Offizier sei, die Beine auf dem Tisch gelagert. Lässig und gelangweilt erfolgte die Aufforderung zum Taschen leeren und zur Vorlage des Personalausweises. Die Begründung der Überschreitung der Ausgangssperre wurde abgefragt. Ein kleiner Betrag Westgeld kam u.a. beim Entleeren meiner Taschen zu tage. Die Herkunft konnte ich erklären, ich arbeitete ja in Westberlin mit ordentlicher Bescheinigung. "Also", meinte mein Verhörer, ?das ist in unserem Land eine verbotene Währung, das nehme ich dir ab. Wir wollen mal gnädig sein und daraus eine Fundsache machen, dafür gibt‘s keine Quittung und der Fall ist erledigt. Wir mussten draußen vor dem Gebäude warten, bis alle verhört waren. Ein Altersgenosse (G.T.) radelte just während unserer Wartezeit am Objekt der Kasernierten Volkspolizei vorbei, überblickte sofort die Situation und da er uns kannte, benachrichtigte er unsere Angehörigen von seiner Wahrnehmung. Fast zur gleichen Zeit gewannen wir unsere Freiheit wieder. Repressalien hatten wir danach keine. Soweit meine Erinnerungen an die Ereignisse des 17. Juni 1953.

Franz Noerling